Nun aber raus aus der Komfortzone!
Immer dann, wenn Till Eulenspiegel auf seinen Wanderungen steile und mühselige Anstiege zu bewältigen hatte, so marschierte er fröhlich pfeifend und bester Dinge bergauf. Wenn dann aber die beschwerliche Höhe erklommen war und es endlich leichtfüßig hinab ging, verfinsterte sich jedes Mal seine Laune und er begann zu jammern und zu klagen. Auf die Frage, woher sein seltsames Verhalten rühre, entgegnete Till Eulenspiegel, dass ihm auf dem Weg bergan ja schließlich der herrlich leichte Abstieg bereits vor Augen stünde und er daher voll Zuversicht und Lebensfreude sei. Gehts dann jedoch bergab, müsse er stets schon an den bevor stehenden, quälenden und Kräfte zehrenden Weg wieder hinauf denken.
Nun aber raus aus der Komfortzone!
Herausforderungen sind nicht nur wichtig für die Karriere und den Beruf, sie steigern im Erfolgsfall auch das Selbstbewusstsein, die Freude an der Arbeit und die Lebenszufriedenheit. Aber warum empfinden wir sie als so anstrengend? Und warum fällt es vielen PTAs und Apotheker/-rinnen so schwer, die Komfortzone am HV zu verlassen und aktiv zu beraten?
Das Verlassen der Komfortzone gleicht ein wenig der Vertreibung aus dem Paradies, oder dem Rausschmiss aus der kuscheligen Höhle, in die sich unsere Vorfahren in der Steinzeit zurückzogen. Evolutionsbiologisch hat unsere Komfortzone, die Höhle von einst, eine überlebenswichtige Funktion. Hier entspannten sich unsere Urahnen nach der anstrengenden Jagd. Hier fanden sie Zuflucht und Schutz vor dem Säbelzahntiger und anderen Gefahren. Hier konnten sie sich wärmen, fortpflanzen und gegenseitig fellpflegen. Anschließend konnten sie es auch wieder mit den Gefahren des Lebens aufnehmen. Ohne diesen schützenden Zufluchtsort wären wir vermutlich bereits ausgestorben. Übertragen wir den Höhlengedanken auf unsere heutige moderne Zeit, verstehen wir, wie wichtig es für den Menschen ist und schon immer war sichere Rückzugsbereiche zur Revitalisierung zu haben. Die magisch-beruhigende Wirkung von Feuer - einst die offene Feuerstelle unserer Vorfahren, heute virtuell prasselndes Feuer im computer- animierten Kamin - belegt diese Wirkung. Nur haben wir es heute nicht mehr mit Säbelzahntigern zu tun, sondern mit Chefs, nervigen Kollegen und Kunden oder den bürokratischen Herausforderungen des modernen Apothekenalltags.
Unser als beruhigende Sicherheit empfundenes Gleichgewicht wird unangenehm gestört. Achtung, signalisiert unser limbisches System etwas ist anders als sonst, möglicherweise droht Gefahr! Notgedrungen schalten wir den Autopiloten aus und suchen in unserem Gehirn nach möglichen passenden Verhaltensmustern. Denn alles, was ein Mensch im Laufe seines Lebens gelernt hat, ist als neurologische Bahn in seinem Gehirn abgespeichert. Je häufiger das Gelernte benutzt wird, desto stabiler entwickelt sich die neurologische Verbindung. Es entsteht die graue Masse Myelin. Sobald sich eine Bahn im Gehirn etabliert hat, entsteht der Drang, auf Anforderungen mit genau dieser Verhaltensweise zu reagieren.
Achtung: Situation unbekannt!
Im Falle einer Störung schickt unser moderner Frontalkortex uns postwendend eine SMS: Situation unbekannt. Noch nie dagewesen. Mit nix vergleichbar. Was tun? Nun sind wir zunächst einmal ziemlich hilflos. Auf der Gefühlsebene reagieren wir oft mit Wut und Aggression oder mit Angst, Rückzug und Verleugnung. Und so verlaufen dann auch manche Reklamationen in der Apotheke.
Was aber sollen sie auch tun, wenn ihnen niemand ihre verständliche Angst nimmt, sie mit Informationen darüber versorgt, wie es nach einer Veränderung für sie weitergeht, ihnen sagt, dass sie in Sicherheit sind, sie sich mitgenommen und wertgeschätzt fühlen? An diesem Punkt werden in der Führung die größten Fehler gemacht. Erstaunlicherweise verstehen viele Apotheker/innen es nicht, ihre Mitarbeiter emotional abzuholen und vertrauensvoll in eine neue Richtung zu führen. Mehr noch: Ihnen die Chancen und Gewinnpotenziale aufzuzeigen, die jede Veränderung und damit Entwicklung auch mit sich bringt.
Lohn der Angst
Die leicht verständliche Metapher der Komfortzone ist in der Führung von Mitarbeitern extrem hilfreich. Haben wir bisher davon gesprochen, wie existenziell wichtig dieser Bereich für unser Leben ist, so geht es andererseits jedoch auch darum, die faszinierende Welt jenseits, also außerhalb unserer Komfortzone zu entdecken, zu würdigen und zu nutzen. Außerhalb unserer Kuschelzone ist Abenteuerland; nur dort können wir uns weiterentwickeln, unbekannte Erfahrungen machen, neue Fähigkeiten und Einsichten gewinnen. Ein gewisses Risiko ist immer dabei, als anstrengend empfinden wir es auch, zugleich aber auch als prickelnd und belebend. No risk, no fun, sagt der Volksmund. Daher plädiere ich dafür, die Komfortzone hin und wieder bewusst zu verlassen und damit zu erweitern. Wir kennen es alle: Beim ersten Mal, da tuts noch weh. Die Arbeit mit dem neuen PC Programm ist qualvoll. Wir sind genervt, ersehnen die alte Sicherheit zurück und verfluchen die gesamte IT-Abteilung. Die zweite Stunde gelingt schon besser und nach der dritten brüsten wir uns mit unseren neuen Fähigkeiten vor Kollegen, den "technikfeindlichen Bremsern". Selbstbeobachtung und Lebenslanges Lernen sind die Schlüssel zur Erweiterung der eigenen Komfortzone.
Im Grenzbereich ist Lernen lustvoll
Der spannendste Bereich unserer Komfortzone liegt im Grenzbereich er befindet sich genau an der Schnittstelle zwischen langweiliger Unterforderung und stressiger Überforderung. Dort nehmen wir Veränderung als lustvoll und inspirierend wahr, denn dort geraten wir oft in den so genannten Flow: Wir gehen vollkommen in unserer wohl dosierten Aufgabe auf, vergessen Raum und Zeit. Solch eine Tätigkeit ist herausfordernd, denn sie trägt die Möglichkeit des Scheiterns in sich, gleichzeitig besteht eine große Wahrscheinlichkeit des Gelingens. Die anspruchsvolle Präsentation vor dem neuen Kunden am HV, die Beratung eines RX Kunden oder die Präsentation eines neuen Medikaments vor dem Team setzen viele Endorphine frei und sind wie ein Fallschirmsprung aus 1.000 Meter Höhe. Die Folge: Wir wollen auf der Stelle mehr davon! Wer oder was motiviert uns nun dazu, unsere Komfortzone freiwillig zu verlassen? Wenn Menschen echte Motivation verspüren, sind Höchstleistungen möglich.
Doch Veränderungsvorhaben scheitern, weil an alten Gewohnheiten festgehalten wird. Neue Verhaltensmuster erzeugen Angst und verbrauchen zu Beginn viel Energie. Jeder, der sich schon einmal glücklos an diversen Diäten versucht hat oder im nächsten Team Meeting endlich mal seinen Standpunkt klar machen wollte, weiß, wie schwer es sein kann, Vorsätze ohne Hilfe auch tatsächlich umzusetzen.
Die Lösung: TUN SIE ES!
Wichtig ist, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und eine bewusste Entscheidung zu treffen: Ich entscheide nach außen, wie und was ich sage. Ich lasse nicht die Situation für mich entscheiden. Schon diese Einstellung lässt die vermeintlich unüberwindlichen Mauern der stabilsten Komfortzonen gefährlich ins Wanken geraten. Wer lernt, seine Komfortzone mutig hinter sich zu lassen, wird erfahren, dass er diese letztlich gar nicht verlässt, sondern sie in Wahrheit nur erweitert und eben so groß macht, wie es für die neue Situation gut ist. Mit jeder Expansion erhält man mehr Möglichkeiten und mehr Werkzeuge um zu handeln, zu kommunizieren und die Anzahl seiner Interaktionsmöglichkeiten zu erhöhen. Dies bedeutet keineswegs die Verpflichtung, grundsätzlich bei Allem und Jedem dabei zu sein. Es ist die bewusste Entscheidung für oder gegen etwas, die einen befähigen wird, selbst gesteckte Ziele zu erreichen.
Dauerhaft außerhalb der Komfortzone bedeutet Stress!
Achtung! Zuviel des Guten ist des Guten auch manchmal zu viel. Besonders ambitionierte Menschen neigen dazu, sich chronisch zu überfordern. Sie muten sich zu viel zu oder ihnen wird zu viel aufgebürdet. Dann entsteht kräftezehrender, krankmachender Stress. Unruhe, Aggressivität oder Depressionen sind die natürliche Folge, denn der Körper ist dauerhaft überlastet. Dieser Zustand kann leicht ins Burnout führen. Veränderungen gehören zum modernen Leben. Die Kunst ist, darin die kreativen Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen. Mutige Bereitschaft zu neuem Lernen ist die Basis für jede Selbsterweiterung. Das müssen nicht immer riesige Schritte sein. Manchmal beginnt es damit, einfach mal mit Kollege X statt wie immer mit Kollege Y zum Essen zu gehen oder sich mutig für eine Präsentation für das nächste Team Meeting zu melden.